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Versammelt sind alle nachweisbaren persönlichen öffentlichen Äußerungen Arthur Schnitzlers, gruppiert in Interviews, Meinungsäußerungen und Protestschreiben.

Als ›Interview‹ wird alles aufgenommen, das auf einem Gespräch fußt, das zumindest von einer Seite mit Hinblick auf eine Publikation geführt wurde. Als ›Proteste‹ sind Briefe an Zeitungen und Zeitschriften gewertet, in denen eine Richtigstellung eingefordert wird. Die unter ›Meinungen‹ subsumierte Gruppe – von der Textsorte her am unklarsten – umfasst Kritiken, Rundfragen, Gratulationen, Leserbriefe und andere Formen der Stellungnahme. Als verbindendes Element aller Texte ist, dass die Person Schnitzlers in ihnen auftritt oder Ansichten von ihr wiedergegeben werden. Umfasst sind zudem jene Texte, bei denen sich nur durch andere Zeugnisse Schnitzler als Stichwortgeber ermitteln lässt, im Text dann aber beispielsweise nur von »dem Wiener Dramatiker« die Rede ist.

Bei den ›Meinungen‹ und ›Protesten‹ sind – in Unterscheidung zu den ›Interviews‹, das durchwegs publizierte Texte bringt – auch jene Beiträge aus dem Nachlass berücksichtigt, die möglicherweise oder sicher nicht erschienen sind. Deren Status, dass die Veröffentlichung zu Lebzeiten in Zweifel gezogen ist, wird deutlich markiert. In dubio pro reo wird lieber ein Beitrag mehr aufgenommen. Zudem erlauben die wenigen Texte, die tatsächlich in der Lade blieben, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wann Schnitzler nach weiterer Überlegung Abstand nahm, Stellung zu beziehen.

Mit welchen Problemen man es damit zu tun bekommt, kann an folgenden Zweifelsfällen verdeutlicht werden: Schnitzler begegnet dem Interviewer erst zufällig am Ende des Textes , das zugrundeliegende Interview wird gar nicht erwähnt , das Interview wird erst nach Jahrzehnten veröffentlicht . Zudem sind die Textsorten vielfach verzahnt. Manche ließen sich umsortieren. Beispielsweise ist The Jew in Me and my Works aus einem Interview entstanden, aber als Umfrageteilnahme in fiktionalisierter Ich-Form publiziert . Der (entstellte) Privatbrief an seinen Schulfreund Eugen Deimel in New York wird als Meinungsäußerung gewertet , wohingegen Schnitzlers Leserbrief, den er als Reaktion auf diese Veröffentlichung schreibt, unter den Protesten zu finden ist , wie auch überhaupt die Proteste zumeist Reaktionen auf Interviews und Meinungen darstellen.

Während die jeweils in Anwendung gebrachte Kategorisierung von ›Interview‹, ›Meinungen‹ und ›Proteste‹ mehr inklusiv als separierend-kohärent gedacht ist, bleiben doch verschiedene Texte außen vor:

  • Die medizinischen Schriften, da sie bereits gedruckt vorliegen.1 Neuerlich ediert wird nur Der Fall Jacobsohn , ein Text, der sich nicht an ein medizinisches Fachpublikum, sondern aus der Sicht eines Mediziners an die Allgemeinheit richtet.
  • Über die Physiologie des Schaffens. Der zentrale Werkstatt-Text wurde seit seinem Erstdruck an Weihnachten wenige Wochen nach seinem Tod mehrfach publiziert, erschien aber nicht zu Lebzeiten.2
  • Persönliche Erinnerungen an Schnitzler.3
  • Schilderungen von Besuchen bei Schnitzler in privaten Aufzeichnungen.4
  • Satirische Stilimitationen, die erkennbar nicht von Schnitzler verfasst sind.
  • Bei zu Lebzeiten veröffentlichten Briefen und Korrespondenzen werden nur Briefe Schnitzlers, nicht aber an ihn gerichtete Schreiben berücksichtigt. Sie sind dem Zeitpunkt der Publikation, nicht des Versands zugeordnet. Das umfasst Briefe an Adolf Sonnenthal, Theodor Herzl und Peter Altenberg.
  • Literaturwissenschaftliche Editionen von Briefen.5

Verzichtet wird zudem auf einfache Meldungen und Unterschriften unter Aufrufen, Petitionen und Protestschreiben, bei denen der individuelle Beitrag Schnitzlers nicht zu bestimmen ist. Als Entscheidungskriterium wurde dazu die Anzahl der Unterschriften herangezogen. Je mehr unterschrieben haben, desto unwahrscheinlicher ist eine tiefgreifendere Beteiligung Schnitzlers. Diese sind bislang nicht systematisch bibliografisch erfasst, so dass eine (wenngleich sicherlich unvollständige) Aufstellung zumindest Orientierung geben kann, für welche Themen Schnitzler seinen Namen zur Verfügung stellte:

Zwei Fälle sind, da nur wenige Personen beteiligt sind, aufgenommen: die Erklärung gegen den kriegerischen Ton (1910) und die Aufforderung, der Schutzwache beizutreten (1918) .

Da Schnitzler irgendwann angefangen hat, als Textspenden literarische Texte einzureichen, die er wohl zuvor verfasst hatte und nur dem Anlass entsprechend auswählte, sind die aphoristischen Beiträge aus späteren Jahren nicht berücksichtigt. Die hierbei angewandte Praxis lässt sich an drei Fällen illustrieren: Die Antwort auf eine Rundfrage in Form eines Gedichts wird abgedruckt, weil sie auf die Frage bezogen ist (1925). Die Aphorismen für das Liber Amicorum Romain Rolland (1926) werden nicht aufgenommen, da sich kein nachvollziehbarer Bezug zu Rolland herstellen lässt.19 Die Aphorismen zum Zauberberg (1925) wiederum sehr wohl, da sie mit einer anlassbezogenen, persönlichen Einleitung versehenen sind. In gleicher Weise wird bei Sprüchen, Aphorismen, Epigramme und Gedichten, die er zeitlebens bereitwillig für Ballspenden, Widmungen und sonstige Anfragen zur Verfügung stellte. Sie werden, sofern nicht eine spezifische Bezugnahme vorliegt, dem literarischen Werk zugeordnet und finden hoffentlich einmal in vollständigen zukünftigen Ausgaben seiner Aphorismen und Gedichte Eingang.

Als Vorlage dient für gewöhnlich der erste nachgewiesene Druck. In Ausnahmen, die jedenfalls gesondert vermerkt sind, wurde davon abgewichen, etwa, weil ein späterer Druck ausführlicher ist. Da es immer überrascht, wie schlecht auch Tageszeitungen mit großen Auflagen überliefert sind, konnten ein paar wenige Ausschnitte aus der Zeitungsausschnittsammlung nicht nachgewiesen werden. Das trifft auf das niederländische Interview zu, dessen beschnittene Kopfzeile eindeutig das Het Vaderland als Quelle ergibt. Trotzdem ist es in dem digitalisierten Exemplar der

und auch den eingesehenen anderen nicht enthalten. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte es nur in einem Teil der Auflage enthalten gewesen sein, oder einer lokalisierten Ausgabe. Während der Fokus auf der Rezeption liegt und dementsprechend der Erstdruck im Zentrum des Interesses steht, wurde in Einzelfällen auf Archivzeugen zurückgegriffen, wenn dieser Schnitzlers Involvierung offen legt. Als Beispiel sei auf die beiden Fälle verwiesen, in denen Schnitzler das Manuskript des Interviews bearbeitete , . Im jeweiligen Kommentar verdeutlicht werden dann die Abweichungen im gedruckten Interview.

Jedem Text beigesellt sind persönliche Dokumente vor allem aus dem Nachlass Schnitzlers, die sowohl die Entstehung als auch seine Haltung zu dem Text wiedergeben. Im Normalfall, gerade wenn die Dokumente publiziert sind, wird ausschließlich die betreffende Stelle zitiert. In den Fällen, bei denen es sich um unpublizierte Quellen handelt, wird das vollständige Korrespondenzstück gebracht. Auf genauere bibliografische Angaben dieser Quellen wurde verzichtet. Sofern es sich nicht um ein veröffentlichtes Zitat aus dem Tagebuch, aus

oder aus einem der beiden voluminösen Briefauswahlausgaben handelt ( und ), lässt sich mit dem Handschriftenkatalog Kallías des der Verwahrort bestimmen.

Fussnoten

  1. 1 Arthur Schnitzler: Medizinische Schriften. Hg. Horst Thomé. Wien, Darmstadt: Zsolnay 1988. Teilweise sind die Texte auch abgedruckt in Aspekte und Akzente.
  2. 2 Demungeachtet lässt sich zumindest in ganz geringem Maße schon eine Verbreitung des Texts nachweisen. Schnitzler hatte den Text 1903Ludwig Bauer zur Verfügung gestellt, der ihn für einen Vortrag benützte. Im Zuge des Vortrags gewährte BauerArthur Langen Einsicht, der dann, kurioserweise, Schnitzler am 5. 6. 1911 um eine Antwort für eine Rundfrage bat, die Schnitzlers Text plagiierte. Schnitzler war empört. (DLA Marbach, HS.1985.1.213)
  3. 3 Ebenfalls teilweise in Aspekte und Akzente..
  4. 4 Martin Anton Müller: Besuche bei Arthur Schnitzler. Private Aufzeichnungen von Albert Ehrenstein, Victor Klemperer und Robert Adam. In: Hofmannsthal-Jahrbuch. Zur europäischen Moderne, Bd. 27 (2019), S. 131–163.
  5. 5 Das betrifft zwei Texte: Otto Schinnerer: Schnitzler and the Military Censorship. Unpublished Correspondence. In: Germanic Review, Bd. 5, 1930, S. 238–246 und Theodor Sosnosky: Unveröffentlichte Schnitzler-Briefe über die »Leutnant-Gustl«-Affäre. Eine Sensation vor dreißig Jahren. In: Neues Wiener Journal, Jg. 39, Nr. 13.624, 26. 10. 1931, S. 4.
  6. 6 Wienbibliothek, Signatur E-287622.
  7. 7 Petition an die gesetzgebenden Körperschaften des deutschen Reiches behufs Abänderung des § 175 des R.-Str.-G.-B. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen mit besonderer Berücksichtigung der Homosexualität, Jg. 1, 1899, S. 239–269
  8. 8 vgl. Neues Wiener Tagblatt, Jg. 40, Nr. 190, 12. 7. 1906, S. 4. Schnitzler erfuhr erst am , dass seine Unterschrift dafür verwendet wurde.
  9. 9 vgl. Deutsches Volksblatt, Jg. 19, Nr. 6606, 25. 5. 1907, S. 7.
  10. 10 Neue Freie Presse, Nr. 16.750, 9. 4. 1911, Morgenblatt, S. 8.
  11. 11 Die Aktion, Jg. 1, Nr. 17, 12. 6. 1911, S. 531–532.
  12. 12 vgl. Richard Dehmel an Schnitzler, 14. 8. 1912, schnitzler-briefe, L02084
  13. 13 vgl. Martin Anton Müller: Hermann Bahr – Textverzeichnis. Weimar: VDG 2014, S. 617. Zumindest ein Formulierungsvorschlag Schnitzlers wurde berücksichtigt, vgl. Briefwechsel Bahr/Schnitzler, S. 751.
  14. 14 Berliner Börsen-Courier, Jg. 50, Nr. 59, 5. 2. 1918, Morgen-Ausgabe, Beilage, S. 6.
  15. 15 Zustimmendes Telegramm mit Schnitzlers Namen erwähnt in: Maurice Pujo: Les Aimées de l’Ennemi. In: L’Action Française, Jg. 12, Nr. 53, 22. 2. 1919, S. 1 und in Frankfurter Zeitung, Jg. 63, Nr. 155, 27. 2. 1919, Erstes Morgenblatt, S. 1,
  16. 16 Vossische Zeitung, Nr. 254, 20. 5. 1919, Abend-Ausgabe, S. 2.
  17. 17 vgl. den Brief Schnitzlers an Isaac Levine, 14. 4. 1926, abgedruckt bei Lindken, Aspekte und Akzente, S. 400.
  18. 18 Berliner Börsen-Courier, 4. 2. 1928; vgl. A. S.: Tagebuch, 11. 2. 1928
  19. 19 Arthur Schnitzler: Bemerkungen. In: Liber Amicorum Romain Rolland. Sexagenario ex innumerabilibus amicis paucissimi grates agunt. Hunc librum curaverunt edendum Maxim Gorki, Georges Duhamel, Stefan Zweig. Zürich, Leipzig: Rotapfel-Verlag 1926, S. 325–326.