Nachwort

»Nicht klagen, nicht antworten – das Werk
bleibt – das Geschmier verweht;– läßt man
sich ein, so behält der andre recht; –«
Schnitzler: , 14. 6. 1916

 

»Alles, nur kein Interview!« Arturo Schnitzler di passaggio per il Molo Bersaglieri, 1. 5. 1928, antwortete Arthur Schnitzler, wenn ein Reporter mit ihm sprechen wollte. Er würde »Rundfragen und dergleichen nicht beantworte[n]« Ein Brief Artur Schnitzlers an den Herausgeber des »Neuen Wiener Journals«, 31. 5. 1925, erklärte er auf Fragen nach seiner Meinung. Stand in einer Zeitung einmal etwas Falsches über ihn geschrieben, forderte er den Abdruck einer Richtigstellung ein. Mit Abwehrhaltung betrat Schnitzler die Bühne der Prominenz und prägte ein Bild von sich, das nach nun bald hundert Jahren erstmals gesammelt studiert werden kann. Die vorliegende Edition versteht sich als ›öffentliche Biografie‹. Sie ist eine Rekonstruktion dessen, was Leserinnen und Leser, Theaterbesucherinnen und -besucher abseits des literarischen Werks über einen der bekanntesten Dramatiker ihrer Zeit wissen konnten. Schnitzlers Lebenszeugnis findet sich in den Bleilettern der Zeitungsspalten seiner Zeit gesetzt. Zu Wort kommen er selbst und die Journalistinnen und Journalisten, die sich als Sprachrohr des Publikums verstanden. Ihre Erwartungshaltung formt Schnitzlers öffentliche persona, auf die er wieder antwortet. Es ist ein Gruppenbild mit Autor, aufgenommen mit der Linse der öffentlichen Meinung.

Schnitzlers Ruhm und der postume Beitrag

Die öffentliche Stellung Schnitzlers zu Lebzeiten weicht auf so fundamentale Weisen von der gegenwärtigen ab, dass der Zugang dazu über die Entstehung seines heutigen Ruhms führen muss. Als Ausgangspunkt bietet sich eine Anekdote an, die Billy Wilder in Los Angeles in den 1960er-Jahren seinem Biografen Axel Madsen erzählte. In den 1920er-Jahren war Wilder Reporter bei der Tageszeitung Die Stunde, damals immerhin die skrupelloseste Zeitung Wiens. An nur einem Morgen will er an die Tür von Alfred Adler, Sigmund Freud, Richard Strauss und Arthur Schnitzler geklopft haben, um sie um eine kurze Stellungnahme zu einem Thema zu bitten. Freud habe ihn hochkant hinausgeschmissen.1 Es ist anzunehmen, dass Schnitzler ihn ebenfalls der Türe verwiesen hätte – wenn die Geschichte denn wahr wäre. Eine solche Rundfrage ist nie erschienen.2 Da sie ein Who’s Who der Wiener Zwischenkriegszeit gibt, ist die Anekdote trotzdem relevant: Ein Arzt, ein Psychoanalytiker, ein Komponist und ein Schriftsteller verfügen noch Jahrzehnte später über dem Publikum geläufige Namen.

Obzwar zu Lebzeiten vorne mit dabei, war Schnitzler mittlerweile der Vergessenste der vier.3 Schnitzlers Platz in der Liste ist nicht Ausdruck eines anhaltenden Ruhms, sondern eines wachsenden. Schnitzler war am 21. 10. 1931, noch nicht siebzigjährig, an einer Hirnblutung gestorben. Das bewahrte ihn davor, die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland und 1938 in Österreich miterleben zu müssen. Die Vertriebsmöglichkeiten seiner Bücher brachen weg, die Aufführungen seiner Theaterstücke brachen ein. Sein Nachlass konnte in einer schnellen Aktion vor dem Zugriff durch die Nazis gerettet und außer Landes gebracht werden. Nach dem Krieg wurden nur wenige Titel Schnitzlers neu aufgelegt, und sein Werk war, abseits einer Auswahlausgabe, nicht auf dem Buchmarkt verfügbar.

In den 1960er-Jahren änderte sich die Situation, der fast vergessene Autor traf auf ein neues Lese- und Theaterpublikum. Ende der 1950er-Jahre kehrte der Sohn und Alleinerbe Heinrich Schnitzler aus dem u.s.-amerikanischen Exil zurück und wurde zum stellvertretenden Direktor des Theaters in der Josefstadt. Nach anfänglichem Zögern begann er, auf starkes Drängen von Vilma Thimig-Degischer hin, regelmäßig Stücke seines Vaters auf den Spielplan zu bringen. Diese Inszenierungen mit Degischer, Leopold Rudolf und Michael Heltau wurden zu echten Theatererfolgen. Das weckte auch auf bundesdeutschen Bühnen ein neuerliches Interesse an Einstudierungen, die nur zu oft mit österreichischen Gast-Regisseuren gemacht wurden. Auf dem Buchmarkt lassen sich die Vorgänge ohne die betreffenden Verträge nicht mit letzter Sicherheit klären. Es dürfte aber die Nachfrage geschaffen worden sein, mehr, als dass auf eine reagiert wurde. 30 Jahre nach dem Tod des Vaters konnte Heinrich Schnitzler dem S. Fischer-Verlag drohen, die Rechte an jenen Werken zurückzufordern, die nicht in Zirkulation waren. Durch eine Werkausgabe, die alle Texte erneut in Umlauf brachte, gelang dem Verlag, das zu verhindern. So entstand die erste postume, vierbändige Gesamtausgabe von 1961/1962. In dem kurzen Moment vor der neuen Inszenierungswelle und als die Werke nicht greifbar waren, befand sich der Nullpunkt, von dem aus Arthur Schnitzler innerhalb dreier Jahrzehnte in den Schultaschen-Pantheon allgemein akzeptierter Klassiker aufstieg.

Die italienische Renaissance entdeckte nicht das antike Griechenland, sondern sie schuf ein neues Griechenbild. Analog entstand in der »Schnitzler-Renaissance« ein neues Schnitzlerbild, geformt durch Veröffentlichungen aus dem Nachlass. Briefeditionen wurden herausgegeben, literarische Nachlasstexte ›entdeckt‹, die Fragment gebliebene Autobiografie vor der Publikation schnell noch mit einem griffigen Titel versehen (Der Verlagsleiter Janko Musulin: »Jugend eines Jung-Wieners? – Nennen wir es !«). In der Mitte der 1970er-Jahre begann dann die Arbeit an der Großtat, die zweieinhalb Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde: die Edition des . Im Jahr 2000 brachte sie der Druck des zehnten Bands zum Abschluss. Man kann in ihr das Schlusswort zum intimen Schnitzler sehen. Was bleibt darüber hinaus noch zu sagen? Für Biografien, die in letzter Zeit geschrieben werden, scheint die Archivrecherche unnötig geworden zu sein. Es ist heutzutage mehr veröffentlicht, als man für die biografische Auswertung benötigt. Man hat nun den ›Menschen‹ Schnitzler an die Seite seines Werks gestellt.

Gesteuert aus dem Jenseits

Das mit dem Nachlass zu zeichnende Bild des ›Menschen‹ Schnitzler dürfte nah dran an dem liegen, was sich der Portraitierte vorgestellt hatte. Dieser verfügte über ein ausgeprägtes Nachlassbewusstsein. Er ordnete zeitlebens die Manuskripte und Briefe, ließ Listen erstellen und Texte abtippen, und die Sekretärin mit der Schreibmaschine erledigte die Erschließung. Kurzum: Es war, soweit das eben möglich war, alles vorbereitet, als er das Zeitliche segnete.4 Seine Wünsche hatte er in den niedergeschrieben.5 Sie lassen sich als Illustration dessen lesen, was dem Verfasser lieb und teuer war:

  • Wie das veröffentlicht werden soll.
  • Suzanne Clauser, Partnerin der letzten Jahre, bekommt alle Tantiemen aus Frankreich.
  • Wie die (unvollendete) veröffentlicht werden soll.
  • Nichts darf gekürzt und popularisiert werden.
  • Literarische Nachlasstexte sind unbedeutend, aber die Entstehung einiger Texte ist wohl von Interesse.
  • Briefe dürfen nur veröffentlicht werden, wenn das ungekürzt geschehen kann. Das gilt auch für die Liebesbriefe, »soweit es sich überhaupt der Mühe lohnt«.
  • Die Zeitungsausschnitte-Sammlung mit Kritiken und Rezensionen soll fünf Jahre nach seinem Tod gesichtet werden.

Franz Kafkas Forderung nach einem Nachlass-Autodafé ist bekannt. Hier wünscht sich jemand das diametral Entgegengesetzte: Alles ist aufzubewahren. »Sollte in zwanzig Jahren meine Persönlichkeit und mein Werk noch im Gedächtnis der Nachwelt leben, so ergibt sich alles weitere von selbst, und berufene Männer, vielleicht im Verein mit meinem Sohne meiner Tochter oder anderen meiner Nachkommen, werden zu entscheiden haben, was vertilgt zu werden, was vielleicht weiter zu leben verdient.«6

Man hat das Psychogramm eines Autors, der auf vollständige Überlieferung Wert legt. Der Moment, in dem etwas zerstört werden darf, ähnelt beim gelernten Mediziner Schnitzler wohl nicht zufällig einer Gruppe bärtiger Professoren, die am Sterbebett Konsilium halten und der Familie die fälligen Entscheidungen erklären. Die verbleibenden Papiere sind kulturhistorische Artefakte, und die Wissenschaft darf entscheiden, was damit geschehen soll. Die Erben hielten sich daran, und soweit das festzustellen ist, sind nur anderweitig begründbare Lücken vorhanden.7

Ist das sein zentrales Vermächtnis? Nicht nur in den , auch in den Interviews weckte er die Erwartungshaltung, dass Jahre nach seinem Tod noch eine bedeutende Neuerscheinung zu erwarten wäre, ein umfangreiches Zeitbild und ein relevantes Dokument (Gaspard [= Viggo Schiørring]: Hos Österrikes mest framstående dramatiska författare, 23. 11. 1904, George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930, vgl. auch -> Pointer). Inzwischen, da es vollständig ediert vorliegt, muss man konstatieren: Zweifel sind, ungeachtet der enormen Leistung von über 16.000 Einträgen, angebracht. Man kann sich über den Einblick in die Wiener Personennetzwerke freuen und trotzdem Enttäuschung über die Unzulänglichkeiten und die blinden Flecken empfinden. Nur zu oft besteht ein Eintrag daraus, dass Schnitzler Namen von Personen aufzählt, die er gesprochen hat, oder aus der Erwähnung eines gelesenen Buches. Auffällig oft fehlen Begründungen, und es ist nicht viel anders in den Rundfragen, bei denen er Buchempfehlungen abgeben soll und Titel nennt, aber nicht erklärt, was ihm daran gefallen hat, Vom Lesen und von guten Büchern, [Mitte November 1906, vordatiert auf] 1907, Zwei Fragen und ihre Beantwortung, 1. 1. 1925. Aus der Diskrepanz zwischen dem Erhofften und dem Eingelösten kann die Motivation erwachsen, aus dem Schatten von dem von Schnitzler für sein Nachwirken für relevant Erkannten hinauszutreten. Es weckt das Interesse, herauszufinden, wie sich sein Ruhm unter seinen Zeitgenossen fundierte.

Unverstandener Skandalautor

Schnitzler trifft die Unterscheidung zwischen Zeitgenossen und Nachwelt. Mit ersteren spricht er vor allem, um ihnen zu sagen, dass er nur mit letzterer spreche. (Vielleicht ist das Sprechen mit der Nachwelt bei einem guten Dialogschreiber wie Schnitzler eine Variante des Selbstgesprächs.) Er wiederholt jedenfalls ein Klischee zu Ruhm und Nachleben, wenn die historische Bedeutung als ein Kind des Nachlebens betrachtet wird. 1919 formulierte er es als Distichon:

»Noch nicht Geborener Du! einen Freund darf ich froh in dir grüßen.
Lebtest du heut’ schon – wer weiss – zählt einen Hasser ich mehr.«8

Rezensionen und Kritiken können stets als Beginn eines öffentlichen Sprechens über ein Werk begriffen werden. Schnitzlers Antwort auf diese Aufforderung zur Kommunikation ist in einem engen Spektrum anzusiedeln. Kritiken werden von ihm für gewöhnlich emotional gelesen: Sie sind ihm Überprüfung, ob er verstanden wurde – oder nicht.9 An Hofmannsthal schreibt er: »So klug wie meine klügsten Kritiker bin ich lange noch«.10 Oder, in einem nicht abgesandten Protestbrief: »Und wenn man von den seltenen Fällen absieht, in denen der Dichter aus der Kritik etwas ihm Neues erführe oder gar für seine Kunst etwas profitierte, so geht die Wirkung der Kritik im allgemeinen nicht weiter als bis an die Nerven des AutorsAn den Morgen, nicht abg[eschickt], Dezember 1910. In einem Brief an Hermann Kienzl wird er noch ausführlicher: »Biographisches über mich existiert nicht, da ich mich auf alle Fragen dieser Art bisher (und Sie werden mir nicht unrecht geben) ablehnend verhalten habe. Kritisches existiert natürlich allerlei, aber warum wollen Sie es lesen? Sie wissen wie selten bei den Kritikern die Neigung und die Fähigkeit vorhanden ist, eine künstlerische Persönlichkeit in ihrer Totalität zu fassen. […] Und so mancherlei Kluges, Gutes, ja weiter fassendes über mich schon geschrieben worden ist, Sie werden ja doch aus keiner Kritik Wesentlicheres über mich erfahren, als Sie in meinen Büchern finden können.«11 Anlässlich der Kritiken zum vermerkte er im : »die Tendenz der Kritik heißt mißverstehn – wenigstens dem Lebenden gegenüber«.12 Es ist also nur folgerichtig, wenn aus den deutlich hervorgeht, dass er mit der »Sammlung von kritischen Zeitungsausschnitten« nichts anfangen kann. Er sieht keine Verwendung für sie vor, außer dass sie fünf Jahre nach seinem Tod gesichtet werde: »[…] besonders in ihrem negirenden Theile dürfte sie eines literar- od vielmehr culturhistorischen Interesses nicht entbehren.«13

Interesse daran kann nur von jemandem kommen, der sich mit den Schattenseiten der Kultur beschäftigen mag. Diese negative Dokumentation zusammenzustellen, dafür hatte er Abonnements bei speziellen Agenturen wie Observer (Alex Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte). Derart trug er zeitlebens geschätzte 30.000 Kritiken und Besprechungen zusammen, in denen er und sein Werk ausführlich besprochen wurden oder zumindest umfänglicher Erwähnung fanden.14 Die Sammlung bildet einmal mehr die Ordnungskriterien desjenigen ab, der sie anlegte. Sie ist grob eingeteilt in Werke, allgemeine Aufsätze, Erwähnungen und Ungeordnetes. Zwar sind auch Abdrucke eigener Werke, öffentliche Äußerungen und Interviews enthalten, aber dass er diesen Manifestationen keine eigene Relevanz zugestand, ist an ihrer weitgehend zufälligen Platzierung zu erkennen, wozu sie gerade passt. Aus dem weiteren Schicksal dieser Sammlung geht hervor, dass auch die Erben nicht viel von ihr hielten. Olga Schnitzler – die geschiedene Frau und nicht der Sohn und Alleinerbe – schenkte sie an den Universitätsprofessor Henry B. Garland, der zuletzt an der University of Exeter unterrichtete. Erst nach dessen Tod, ein Jahrzehnt nach der Emeritierung, wurde die Sammlung öffentlich zugänglich, indem sie in Besitz der dortigen Universitätsbibliothek kam, wo sie bis heute aufbewahrt wird. Der eigentliche zentrale Nachlassort, die Cambridge University Library, hatte zuvor die Überlassung abgelehnt.15

Schnitzlers Vorstellungen von seinem Nachlass entsprachen einem Zeitgeschmack. Ein Leuchtturmprojekt, das die deutsche Germanistik und Literaturwissenschaft zu seinen Lebzeiten mit großem Aufwand betrieb, war die Veröffentlichung der der Werke Goethes. Von 1887 bis 1919 – und damit parallel zum Großteil seines Schriftstellerlebens – wurde vorexerziert, wie modellhaft ein Nachlass publiziert werden konnte. Die 133 Bände (zehn davon Doppelbände) teilen sich auf in: »Werke im engern Sinne«, »Naturwissenschaftliche Schriften«, »Tagebücher« und »Briefe«. Schnitzler bediente sich – bis auf die »Naturwissenschaftlichen Schriften« – dieser Kategorisierung und legte seinen Nachlass so an, dass er als Textspeicher begriffen werden kann, aus dem man Buchpublikationen schöpft. Nun war er aber kein Goethe und sich dessen durchaus bewusst. Vor allem lebte der Wiener seine Literarizität anders als der Weimarer. Schnitzler berücksichtigte zeitlebens die postume Veröffentlichung. Das hatte, im Zusammenspiel mit anderen, mediengeschichtlichen Gründen wie der Verbreitung des Telefons, zur Folge, dass viele von Schnitzlers beruflichen Korrespondenzen die Leserinnen und Leser der Nachwelt bereits mitdenken und damit stets etwas Verhaltenes haben.16 Natürlich korrespondierte er nicht mit Zeitgenossen für die Nachwelt, aber sie war ihm, wie der Nachlass zeigt, ein Bezugspunkt. Grundlegender noch: Schnitzler akzeptierte, dass es ein legitimes Interesse an seiner Person gab, das über sein künstlerisches Werk hinausging, befürwortete und förderte dies, wenngleich er es für die Nachgeborenen vorbehielt. Dass der Ruhm zu Lebzeiten in wenigen Jahren erlosch, wäre ihm vermutlich gleichgültig gewesen, wenn er es mitbekommen hätte.

Ungeachtet dessen, wie wichtig es ihm war, berühmt zu sein – sein Ruhm zu Lebzeiten war eine bedeutende Größe. Sucht man nach Indikatoren, um ihn zu messen, gäbe es verschiedene Ansätze. So könnte man ihn mit der Anzahl der Aufführungen seiner Dramen quantifizieren. Die Stücke waren, wenige Jahre nachdem er als Literat in Erscheinung zu treten begann, ein Fixum auf der internationalen Bühne.17 Seine Erzählungen und Romane verkauften sich gut und wurden mehrfach übersetzt. Man könnte mit den Quellen der vorliegenden Edition das wachsende Interesse an Interviews berücksichtigen. Eine weitere Zugangsweise konzentriert sich auf die ihm verliehenen Literaturpreise und die Skandale, in die er involviert war.18 Sie ergeben folgende Lebensstationen, die nach dem ersten großen Erfolg mit der am Burgtheater 1895 einsetzen:

    1899
  • Ehrengabe der Bauernfeld-Stiftung. Absetzung der drei Einakter am Burgtheater nach sieben Vorstellungen, weil ein Mitglied der kaiserlichen Familie indigniert war.
  • 1900
  • wird vom Burgtheater zurückgegeben, nachdem es bereits monatelang als angenommen gegolten hatte.
  • 1901
  • Skandal um die Veröffentlichung von
  • 1903
  • Preis der Bauernfeld-Stiftung
  • 1904
  • Verbot der Buchausgabe des in Deutschland
  • 1908
  • Franz-Grillparzer-Preis
  • 1912
  • darf nicht in Österreich aufgeführt werden.
  • 1914
  • Raimund-Preis für .
  • 1920/1921
  • Skandale um -Inszenierungen in verschiedenen Ländern.

Preise und Skandale sind hier nicht nur zwei Messlatten. Die zwei Seiten des Ruhms, Anerkennung und Ablehnung, sind darin so eng verwoben, dass sie nicht ohneeinander existieren. So wird jeder Preis von der antisemitischen Presse als Skandal empfunden. Die Polarisierung ist Teil dessen, was Schnitzlers Ruhm zu Lebzeiten ausmachte. Damit ist sie eine vom Nachruhm (mit den Polen ›Erinnerung‹ und ›Vergessen‹) zu unterscheidende Problemstellung.

Ein Großer auf dem Buchmarkt

Um 1907/1908 schreibt Schnitzler: »Dichter führen bekanntlich ein gesegnetes Dasein. Sie erwerben Millionen, bauen sich Schlösser oder wenigstens Villen, gehen in die Unsterblichkeit ein, hören auf der Straße ihren Namen hinter sich flüstern, werden interviewt, haben das Recht, Rundfragen zu beantworten und die Marken zu sammeln, die ihnen von unvorsichtigen Autographensammlern als Retourporto eingesandt werden. Für all das müssen sie sich eigentlich nur eine ernstere Unannehmlichkeit gefallen lassen: Kritik.«19

Was er hier in einem ironischen Ton vermittelt, behandelt den Epochenumbruch, der in der Zeit, kurz bevor Schnitzler geboren wurde, begann und sich zunehmend beschleunigte. Bestehende Konzepte von Ruhm und Popularität wandelten sich tiefgehend. Einen Faktor bildeten dabei die gedruckten Massenmedien mit ihrem Bedürfnis nach ›news‹ und ›stories‹. Deren täglich neues (und durch mehrere Morgen-, Mittag- und Abendausgaben angefeuertes) Verlangen nach Personen mit Wiedererkennungswert ließen die jahrelange Heldenverehrung und den Geniekult zurücktreten. Die traditionell wenigen Bereiche der Verehrung, die sich auf Heerführer (Napoleon) und Genie-Künstler (Goethe) zu beschränken schienen, genügten nicht mehr. Für immer neue Bereiche mussten Repräsentantinnen und Repräsentanten gefunden werden: Politik, Erfindungen, Sport und Theater, aber auch Aristokratie und Reichtum. ›Prominente‹ wurden ausgehandelt, die sich als Ware auf dem Nachrichtenmarkt behaupten konnten. Dabei bekam Persönlichkeit einen höheren Marktwert als Charakter. Aus Anhängern wurden Fans.20

Das Umfeld veränderte sich dadurch grundlegend, in dem ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin den Beruf ausüben konnten. Nunmehr war es nicht mehr nur die Werkausgabe, die das Bild eines Autors für die Öffentlichkeit zusammenfügte. Die Art und Weise, wie eine Person medial konstruiert werden konnte, explodierte im 19. Jahrhundert. Fotografie, Tonaufnahme, Interview verbreiteten sich, später kam die mobile Filmkamera dazu. Jede dieser Weisen versuchte, Nähe und Intimität zum Objekt herzustellen und das über räumliche und zeitliche Beschränkungen zu transportieren. Dramatischer ausgedrückt: Je größer die gesellschaftliche Öffentlichkeit, desto mehr wuchs das Bedürfnis nach Intimität.21 Als Schnitzler auf die Welt kam, hatte Wien unter einer Million Einwohnerinnen und Einwohner. Innerhalb von fünfzig Jahren verdoppelte sich die Bevölkerungszahl und stieg zu einem bis heute nicht wieder erreichten Höchststand von mehr als zwei Millionen. In diesem von Wachstum, Wanderbewegungen und Wandel geprägten Umfeld unternahm er es, sich seinen Unterhalt mit künstlerischer Tätigkeit zu verdienen.

Die Dynamik eröffnete für Autorinnen und Autoren ein Handlungsfeld, in dem sowohl die eingenommenen Positionen charakterisierten wie jene, die nicht betreten werden. Man konnte die Rolle eines politischen und kulturellen Kommentators besetzen oder als Prophet, Kassandra, moralische Instanz, Zeitdiagnostiker, Gesellschaftspsychologe auftreten. In seinem Nachlass hat Schnitzler eine Antwort auf den Vorwurf hinterlassen, sich nicht zu Zeitproblemen zu äußern. »Es ist nicht Sache des Dichters zu Problemen einer bestimmten Zeit Stellung zu nehmen. Er kann die Probleme wählen, die ihm belieben. Oder auch gar keine Probleme, sondern nur Gestalten und Situationen.«22 Mit dem nachgeschobenen Satz positioniert er sich als Zeitdiagnostiker.23 Die brieflichen Absagen, die Schnitzler dem Journalisten Hermann Menkes über Jahre schickte, können prototypisch verstanden werden. Einerseits, weil sie das Ideal des nicht engagierten Schriftstellers aussprechen, andererseits, weil sie den Journalisten zeigen, der sich dadurch nicht abhalten lässt, denn er kennt das Spiel. Deswegen fragt er trotzdem immer wieder an. Er weiß, dass das eine die Haltung ist, das andere das gelebte Leben ([Hermann Menkes]: Der Grillparzer-Preis, 16. 1. 1908, Hermann Menkes: Bei Artur Schnitzler, 22. 11. 1910, Hermann Menkes: Der junge Schnitzler, 16. 4. 1922, Ein Brief Artur Schnitzlers an den Herausgeber des »Neuen Wiener Journals«, 31. 5. 1925):

»Auch mit meinen nächsten Bekannten spreche ich niemals über die Arbeiten, mit denen ich eben beschäftigt bin und über meine literarischen Projekte. Da werden Sie doch nicht im Ernst von mir verlangen, dass ich der Oeffentlichkeit davon Mitteilung mache.« (19. 12. 1912)24

»So gern ich Sie wieder einmal sprechen möchte, von dem freundlichst beabsichtigten Interview bitte ich absehen zu wollen. Meine prinzipielle Abneigung gegen derlei ist Ihnen ja bekannt und mit den angedeuteten Fragen weiss ich schon gar nichts anzufangen. Die erste: Welchen Einfluss der Krieg auf die deutsche Dichtkunst nehmen wird, könnte ich Ihnen bestenfalls im Jahre 2014 beantworten und die zweite: Ob sich die deutsche Dichtung ohne Schaden dauernd einem Kontakt mit den ausländischen Literaturen entziehen könnte – erscheint mir deshalb müssig, weil solche Kontakte naturgemäss durch Gesetze der Kulturentwicklung, nicht aber durch Einzel- oder Majoritätsbeschlüsse bestimmt zu werden pflegen.
Ich brauche wohl nicht hinzuzusetzen, dass mir dieser Brief zur Veröffentlichung nicht geeignet erscheint.« (7. 12. 1914)

»Gewiss ist es rein technisch genommen nicht schwer zehn Zeilen zu schreiben, aber Sie wissen ja, dass ich öffentlich nicht als Kritiker aufzutreten pflege, Rundfragen und dergleichen nicht beantworte und so bitte ich Sie auch diesmal freundlichst verzichten zu wollen« (18. 5. 1925)

Nicht nur Menkes wusste, wie er mit den Absagen umzugehen hatte. Zusammengenommen ergeben die 87 gedruckten Interviews (sowie 28 Nachdrucke) und 40 Meinungsäußerungen ein abweichendes öffentliches Bild zum Selbstbild der privaten Dokumente. Die gelebte Praxis, dass doch immer wieder kommuniziert werden muss, ist ein weites Land. Deswegen benötigte er eine Präsenz, die diesen Spagat erlaubt. Als Geste wählte er für sein Betragen einen »Cool Conduct«, wie es Marie Kolkenbrock genannt hat: Er entschied sich mitzumachen, um dann seine Nichtzugehörigkeit zu thematisieren.25 Kolkenbrock verwendet den Begriff »detachment«, um seine Abgrenzung zu beschreiben, und zeigt, wie Schnitzler sich nicht direkt als ›Jude‹ und ›Österreicher‹ positionierte, sondern durch Anpassungen und wechselnde Zuschreibungen ein beständiges Rollenspiel betrieb.

Die Wahrnehmung Schnitzlers als distanziert erlaubt einen bedeutsamen Wechsel in der Betrachtungsweise. Nicht die fehlende Teilhabe ist bestimmend, sondern die ständigen Bewegungen, die nötig sind, wenn Distanz bewahrt werden soll. Macht es seine ›posture‹ aus, nicht nicht dazuzugehören, so wird er als Handelnder im kulturellen Feld seiner Zeit greifbar. Die Interviews und Meinungsäußerungen, denen Schnitzler mit Zweifel und Ablehnung begegnete, können so befreit werden von den negativen Konnotationen, dass es sich bei ihnen um Fehler und Momente der Unachtsamkeit handeln würde, die ihm passiert sind oder Fallen, die gestellt wurden und die ihm jedenfalls nicht recht waren.26 Sie sind darum nicht als Quellen mit geringem Wahrheitsgehalt abzutun, sondern gehören als Teil seiner öffentlichen Wirkung zum biografischen, kulturellen und literarischen Werk.

Wofür er mit seinem Namen steht

Mit den Texten der vorliegenden Edition lassen sich Achsen kategorisieren, um die sich sein Handeln gruppierte und sich Bilder und Wahrnehmungen der öffentlichen Figur ›Arthur Schnitzler‹ zusammenfügen. In dem bereits erwähnten Brief an Kienzl -> Pointer zählt Schnitzler auf, welches die Schubladisierungen sind, denen er sich ausgesetzt sieht: »Und so bin auch ich so ziemlich nach jedem neuen Buch mit irgend einem neuen Etiquette beklebt worden, bin als Spezialist für Dialoge, fürs süße Mädel, für Duellfragen, für Renaissance, für ›tief schürfende‹ Psychologie, für feuilletonistische Plauderei, für Pornographie, für spezifisch medizinische Probleme, für Puppenspiele, für Tod, für Mystik u. a. durch die Literatur spaziert.« Ungeachtet der hier mitschwingenden Ablehnung deckt sich das weitgehend mit den Themen der Interviews, Meinungen und Proteste: Schnitzler äußerte sich über Literatur, die Lebensbedingungen von Schriftstellern und über rechtliche Zustände im Kulturbereich (Zensur, Urheberrecht). Dazu kamen gesellschaftliche Themen, die eine Verbindung zwischen seinem literarischen Werk und seiner Ausbildung als Mediziner herstellten, wie zu Geschlechtskrankheiten Enquete zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 13. 3. 1908 und zur pornographischen Literatur [Ernst Molden]: Die Enquete über »Schund und Schmutz«, 9. 6. 1928, Der Kampf gegen »Schund und Schmutz«, 10. 6. 1928. Auch die womöglich unveröffentlicht gebliebenen Texte zur Reform des Eherechts Rundfrage über das Eherecht, [Anfang 1905?, unveröffentlicht?] und zum Duell Rundfrage über das Duell, [Mai 1912?, vermutlich unveröffentlicht] sind insofern zu berücksichtigen, als Schnitzler immerhin erwog, dazu Stellung zu nehmen, auch wenn er zuletzt davon absah.

In allen Bereichen findet sich die verbindende Haltung seiner Äußerungen: Er tritt als Experte mit ›Expertenwissen‹ in Erscheinung. Die nötige Autorität schöpft er aus der Berufsausbildung (Medizin) und dem Erfolg als Schriftsteller. Die Dauer, die eine von ihm geäußerte Meinung haben kann, überschreitet nicht nur jene Bahrs, der sich einen Beruf daraus machte, noch vor dem Erlöschen der Zigarre die Ansichten gewechselt zu haben. Sie reicht auf eine Weise ins andere Extrem, die ungewöhnlich ist. Wo findet sich ein anderer Fall, dass jemand ein kulturell-ästhetisches Urteil 23 Jahre lang konservierte und das, was vor über zwei Jahrzehnten niedergeschrieben wurde, ohne relevante Änderung und ohne entschuldigende Vorbemerkung in Druck gab? Genau das tat Schnitzler, als er 1928 die Publikation seines Manuskripts aus dem Jahr 1905 erlaubte, Der Kampf gegen »Schund und Schmutz«, 10. 6. 1928.

Eine vergleichbare Beständigkeit, die ein Text aufweisen kann, findet sich in seinem literarischen Werk. Schnitzlers Romane und Dramen entstehen zumeist über längere Zeiträume, sind gefeilt und mehrfach umgearbeitet. Mit ihrer Veröffentlichung bekommen sie einen stabilen Charakter, der nicht mehr angerührt wird. Das schließt nicht aus, dass er nicht Überarbeitungen andenkt und teilweise unternimmt. Einzig das erste größere Drama, (1893), erschien im Vergleich zur Uraufführung im Druck mit einem anderen Ende. Ansonsten publizierte er keine Neufassungen mit relevanten Eingriffen, ›Ausgaben letzter Hand‹ gibt es nicht. Was dieses Festhalten an der einmal veröffentlichten Äußerung motivierte, lässt sich nicht einfach bestimmen, ist aber auch zu der Zeit keine ungewöhnliche Sache. Möchte man das Verhalten für Schnitzler erklären, ließe sich das durch die Verbindung zum Experten und Wissenschaftler herstellen. Wenn Schnitzler seine Überlegungen zur ›Schmutzliteratur‹ als »Gutachten« bezeichnete, dann schrieb er sie einer Gattung zu, die ähnlich wie wissenschaftliche Aufsätze im Normalfall keine späteren Überarbeitungen kennt. Es schien ihm wichtig, dass seine Texte keine volatile, zeitbehaftete Gestalt einnahmen.

Die Äußerungen über »Schund und Schmutz« wurden 1929 teilweise in einer deutschen Lesben-Zeitschrift nachgedruckt.27 Das stellt die eine bekannte Ausnahme dar, als seine Ansichten für einen gesellschaftlich umkämpften Bereich nutzbar gemacht wurden. Ansonsten findet sich Schnitzlers Name nicht auf der Seite von Reformbewegungen. Seine Befürwortung der Legalisierung von Homosexualität findet sich in einem Aufruf zwischen mehreren hundert Prominenten -> Pointer.28 Im Feld der Frauenemanzipationsbewegungen hatte er keine Bedeutung und bildete keinen Bezugspunkt.29 Fasst man seine öffentlichen Positionierungen zu »Frauenfrage«, »Frauenwahlrecht« oder zu Themen der Identitäts- und Genderpolitik zusammen, so scheint dies für ihn durch den Satz »Es gibt kein Geschlecht in der Welt des Geistes« George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930 erledigt zu sein. Dabei wurde ihm vom Feuilleton mehrfach die Rolle als Sprachrohr von Frauen (in ihrer sexistischen Verallgemeinerung »die Frau« Sir Guy: Arthur Schnitzler, Anatols författare, besöker Stockholm, 18. 5. 1923) angetragen George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930. Der Aufhänger ist stets, ihn als »Dichter der Liebe« –n– [= Peter Nansen]: Arthur Schnitzler. »Elskovsleg«s Forfatter, 9. 3. 1897, Rudolf Allers: Artur Schnitzler, 13. 5. 1922, George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930 zu apostrophieren. Schnitzler verwahrt sich, indem er auf ein gesellschaftliches Interesse verweist und darauf aufmerksam macht, ein Theaterstück ganz ohne Frauen verfasst zu haben, George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930. Vielleicht am deutlichsten wird seine Vernachlässigung von spezifisch weiblichen Problemstellungen anlässlich der Ehereform. Hier spricht er ausschließlich von »eheschließenden Menschen« Rundfrage über das Eherecht, [Anfang 1905?, unveröffentlicht?].

Wie wichtig es ihm war, nicht als »Frauenversteher« in eine bestimmte Rolle gedrängt zu werden, lässt sich an seiner Kanonbildung erkennen, die er durch explizite Bezugnahme zu lebenden wie toten Autoren herstellt (Tolstoi Tolstoi, [Oktober 1908?, unveröffentlicht]; Čechov [Tschechow], 18. 1. 1910; Gorkij Sympathiekundgebungen für Gorki, 1. 2. 1905, Für Gorki. Glückwünsche der Freunde, 31. 3. 1928), beziehungsweise durch Offenlegung von Freundschaften: Gerhart Hauptmann [Zu Gerhart Hauptmanns 60. Geburtstag], August 1922, Hermann Bahr [Hermann Bahrs sechzigster Geburtstag], 8. 7. 1923, Thomas Mann Festgrüße an Thomas Mann, 7. 6. 1925, Karl Schönherr Arthur Schnitzler an Schönherr, 25. 2. 1927, Felix Salten [Mein lieber Felix Salten!], [November 1929] und männlichen Schauspielern. Schriftstellerinnen übergeht er. Als er Karin Michaëlis erwähnt, fällt ihm dazu ein Buchtitel – ihres Mannes ein Emil Bønnelycke: Digteren og Dramatikeren Arthur Schnitzler i Kjøbenhavn, 11. 5. 1923. Diese Bezugnahmen sichern nicht nur einen Kanon, sie lassen sich zudem in beide Richtungen lesen, als Möglichkeit, sein Urteil nachzuvollziehen, und als Möglichkeit, sich ein Urteil über seinen Geschmack zu machen.

Es gibt Hinweise und Anzeichen, dass er nicht nur nach Sympathie zwischen den Gesprächspartnerinnen und -partnern bei Interviews unterschied, sondern seine Aussagen auch entsprechend dem jeweiligen Herkunftsort des Gegenübers modulierte. Ein offenes Urteil über Bahr, das in knappen Worten ziemlich gut zusammenfasst, was Schnitzler über ihn dachte, erschien ausschließlich auf Ungarisch, Ifj. B. Gy [= Georg Ruttkay]: Schnitzler Arthurnál, 10. 5. 1912. Über Politiker spricht er mit Gästen aus den USA: mit George Sylvester Viereck über Woodrow Wilson, Raymond Poincaré, Vladimir Il’ič Lenin und andere Frango [= Franz Goldstein]: Spaziergang mit Schnitzler, 19. 8. 1930, mit Joseph Gollomb über Karl Lueger -> Pointer. Im formuliert Schnitzler das so, dass er mit Ausländern freier spreche, Gaspard [= Viggo Schiørring]: Hos Österrikes mest framstående dramatiska författare, 23. 11. 1904. Verkürzt: Je entfernter Schnitzler der Interviewpartner oder die -partnerin vorkommt, umso größer die Freiheit, die er sich in der Rede nimmt. Diese Entfernung erhöht nicht nur die Chance auf freimütiges Sprechen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Endprodukt von Schnitzler nicht autorisiert wurde, in den meisten Fällen von ihm nicht rezipiert werden konnte und das Bedürfnis zu öffentlichen Widersprüchen gering blieb. Durch die Modulierung seiner Aussage je nach Herkunft des Gegenübers zeigt er sich an den Abstandsreglern spielend, die gelegentlich durchaus mehr Intimität zulassen als gewöhnlich.

Worüber nicht gesprochen wird

Zur Tagespolitik nimmt Schnitzler öffentlich weitgehend keine Stellung. Privat tat er das durchaus, es geht also um den Kommunikationskontext. Hier ließe sich eine Querverbindung zu einer These schlagen, die seit Carl Schorskes einflussreicher Studie Fin-de-Siècle Vienna. Politics and Culture (1961) die Bürgersöhne, aus denen Jung-Wien gebildet wurde, als apolitisch sah, die in Dandytum und Ästhetizismus flohen. Das wurde mehrfach revidiert und widerlegt,30 es kann vor allem nicht als Aussage über ein ganzes Schaffensleben gelegt werden. Gerade der Erste Weltkrieg führte dazu, dass viele von Schnitzlers Weggefährten sich durch politische Propagandatätigkeit und Euphorie hervortaten.31

Die Forschung hat sich mehrfach mit der Frage seines Schweigens während des Weltkrieges auseinandergesetzt.32 Auch Karl Kraus fand Lobesworte für Schnitzler: »Sein Wort vom Sterben wog nicht schwer,
Doch wo viel Freinde, ist viel Ehr:
er hat in Schlachten und Siegen
geschwiegen«.33 Dass Schnitzler nicht an der Kriegseuphorie teilnahm, hatte soziale ebenso wie finanzielle Konsequenzen und war keinesfalls ›einfach‹. Indem er sich nicht für aufmunternde Reden und Durchhalteparolen eignete, entzog er sich auf einer symbolischen Ebene wissentlich dem Zeitgeschmack. Dieses Schweigen und damit einhergehend der Verzicht auf den Kontakt zur allgemeinen Stimmung findet einen Ausdruck darin, dass wenige der hier vorgelegten Dokumente die Zeit des »großen Krieges« behandeln. Die zwei wichtigsten Beiträge sind Proteste, in denen er sich gegen Behauptungen wehrt, die ihm fälschlich unterstellt wurden, Ein Brief von Artur Schnitzler, 20. 11. 1914, Une protestation d’Arthur Schnitzler, 21. 12. 1914. Zwei weitere, die vor dem Krieg und an seinem Ende stehen, sind in ihrem Kontrast bemerkenswert. 1910 scheint sein Name auf einem Aufruf zur Abrüstung der Worte im Umgang Österreichs mit Italien auf [Protestschreiben gegen die Kriegshetze], 1. 7. 1910. Er tritt – auch das eine politische Position – als unbedingter Pazifist in Erscheinung. Am Ende des Krieges steht im November 1918 sein Name auf einem Plakat, in dem die Bürger von Schnitzlers Wohnbezirk angesprochen werden, sich einer Bürgerwehr anzuschließen. Schnitzlers Name findet sich hier neben dem des Antisemiten und Lueger-Parteigängers Wenzel Kuhn. Das weist auf den notwendigen Spagat zwischen Pazifismus und Militarisierung im Alltag hin, mit dem Schnitzlers Position differenziert werden kann.

Während Schnitzler beim Skandal um das zuerst angenommene und dann vom Burgtheater zurückgegebene Stück selbst das Wort ergriff Die Erklärung des Verfassers, 16. 9. 1900, änderte sich das im folgenden Frühling. Ausgelöst wurde der Skandal von der Veröffentlichung der Novelle in der Weihnachtsnummer der vom 25. 12. 1900. Teile des österreichischen Heeres hatten die Publikation der Novelle als Beleidigung empfunden, weil sich der titelgebende Lieutenant als feige erweist. Nach Standesehre hätte er sich umzubringen, was er auch vorhat. Doch als Gustl merkt, dass niemand außer ihm selbst und sein Gewissen im Bilde sind, verzichtet er. Zwischen März und April 1901 kam es zu einem nichtöffentlichen Verfahren, das mit der Rückstufung Schnitzlers vom Offizier zum Sanitätssoldaten endete. Im Urteil über die Faktenlage war sich der Autor des sicher, wie er Bahr schrieb: »Über die Sache selbst ist ja kaum was zu sagen – selten lag ein Fall klarer zu Tage.«34 Die Strategie, den Aufforderungen zur Stellungnahme vor dem Militärgericht nicht nachzukommen, entstand durch eine Rechtsberatung durch den Juristen und ehemaligen Direktor des Burgtheaters, Max Burckhard.35 Es kann dieser Verzicht auf die Chance zur Rechtfertigung prägend für weitere Skandale gewesen sein, oder es kann eine erste Situation gewesen sein, nach bestehenden Vorstellungen zu handeln. In jedem Fall zeigt er, dass Schnitzlers Eingriffe nicht impulsiv waren und strategischen und sachlichen Überlegungen folgten.

Die Ruhe zu bewahren fällt schwer

In seinem drückt er die Ambivalenz seines Berühmtseins folgendermaßen aus: »Das Malheur ist – daß das Gesindel die Sachen nicht anonym zu lesen bekommt. Sie wissen aber … es ist derselbe Autor – so haben sie’s leicht. Wie lange wirds dauern, bis mein wirkliches Wesen in der Weite erkannt sein wird –? ›Kümmere dich nicht –‹ – Leicht gesagt. Es ist nun einmal ein widerliches Gefühl, von lauter Augen hinter angelaufenen oder trüben oder Zerrgläsern angestarrt zu werden.– Nun geht es wohl den meisten so, daß sie falsch berühmt sind;– aber selten ist es der Fall, daß die, die es besser wissen, so gründlich sich drüber ausschweigen.–« (29. 9. 1911) Der inhärente Widerspruch, dass er sich einerseits wünscht, seine Texte könnten jeder ›für sich‹ gelesen werden, um dann mit seinen gesammelten Werken »in der Weite« erkannt zu werden, stört ihn nicht. Die Kraft, die es ihn emotional kostet, kommt am 8. 12. 1915 im zum Ausdruck: »Überdachte u. a. einen offnen Brief […]– den ich nie schreiben werde. Obwohl das Geschmeiss eine Züchtigung verdiente, dass die Striemen durch die Nachwelt leuchten!–«. Die sprachliche Aggression, die hier gegen einen herabgesetzten Gegner (»Gesindel«, »Geschmeiss«) durchbricht, verrät, wie viel Aufwand für Schnitzler notwendig war, um ein solches Außenbild zu erwecken, wie es prototypisch von Stefan Großmann beschrieben wird. Dieser beginnt seine Schilderung mit einer Kinderfotografie Schnitzlers, die er einmal zu sehen bekam.36 Er sah »einen sanftmütigen, lieben Jungen« im Samtanzug: »[…] das war kein Junge, der mit anderen Rangen sich auf der Straße herumbalgte, das war kein Bub, der je ein Loch im Strumpf oder einen Fleck auf der Hose gehabt hat. Der Samtanzug gehörte zu dem wohlbehüteten Kinde. Dieser Samtanzug sagte aus: Wohlhabende Bourgeoisie, Behütetwerden, nicht in den Schmutz fallen. / Irgendwie ist mir der Samtanzug von Schnitzler untrennbar geworden. Er hat nie die rauhen und rohen Konflikte gekannt, er ist nie ordinär geworden, aber auch die große wilde Naturkraft hat nie aus ihm gesprochen.«37

Schnitzler als Sechsjähriger

Öffentlicher Widerspruch

Umfänglicher als das Schweigen während des Krieges, das einzuhalten fordernd war, dürfte zeitlebens der Umgang mit dem wachsenden Antisemitismus gewesen sein. Von der rassistischen Politik des Bürgermeisters Karl Lueger, die mit Antisemitismus spielte, um Wähler zu gewinnen, führt eine direkte Entwicklungslinie zum Holocaust. Es handelte sich nicht um eine zeitübliche Zutat zur Sozialpolitik, sondern um eine bewusste und vorsätzliche Polarisierung zur Stimmenmaximierung. Herzls Realisierung eines zionistischen Judentums lässt sich in dieser Hinsicht auch als lokale Reaktion auf den Wiener Antisemitismus lesen.

Als Jude gab es für Schnitzler keine Möglichkeit, hier unparteiisch zu bleiben. Es ließe sich einfach argumentieren, dass Schnitzler durch sein Judentum so exponiert war, dass sein »Cool Conduct« der Sicherung einer fragilen öffentlichen Position diente. Im am häufigsten nachgedruckten Interview Schnitzlers, , wird ihm die Behauptung untergeschoben, der Antisemitismus würde erst dem Judentum zu seiner Identität verhelfen, David Ewen: Anti-semitism, a Healthy Influence, 26. 9. 1930.38 Hingegen hat Schnitzler ein Protestschreiben verfasst, das gar nicht auf die falschen Aussagen eingeht, sondern eine allgemeine Klarstellung unternimmt: Er gebe keine Interviews, Genuines von ihm gebe es nur, wenn er seinen Namen daruntersetze, Artur Schnitzler läßt sich nicht interviewen!, 18. 9. 1931.

An seinen Leserbriefen lässt sich erkennen, wann er es für wert hält, sich öffentlich zu distanzieren. Das erste nachweisbare Protestschreiben entstand just wegen eines Interviews, das Schnitzler mit einem befreundeten Journalisten – Ernst von Rosenberg – geführt hatte. Am 24. 4. 1888 suchten sie den Laryngologen Morell Mackenzie auf, der den erkrankten deutschen Kaiser Friedrich III. behandelte. In berichtet er, wie sich sein und Rosenbergs Name in Folge selbst in der Zeitung fanden: »jedenfalls waren sowohl er als auch ich bereits wenige Tage später in den dem englischen Arzt feindlich gesinnten nationalistischen Zeitungen mit Namen als neue Mitglieder der ›Reptilienpresse‹ angeführt, wogegen ich in einer Berichtigung für meinen Begleiter und mich öffentlichen Einspruch erhob«. Der betreffende Bericht erschien am 17. 5. 1888 und listete Schnitzlers Namen neben dem anderer Journalisten, nicht aber Rosenbergs.39 Das als Reaktion abgefasste Protestschreiben konnte nicht nachgewiesen werden und dürfte nicht abgedruckt worden sein.

Wenn Schnitzler protestiert, ist eine Bezugnahme auf einen für evident genommenen Gemeinplatz ein häufig bemühtes sprachliches Mittel. Das liest sich etwa so: »Es ist freilich etwas beschämend für jemanden, der sich zeitlebens vom Pathos der Selbstverständlichkeiten leidlich fernzuhalten gewußt hat, erst ausdrücklich versichern zu müssen, daß ihm das Schöne jederzeit schön, das Große jederzeit groß bleiben wird« Une protestation d’Arthur Schnitzler, 21. 12. 1914. Dass er gegen die dummen Aussagen zur Bedeutung des Antisemitismus auftritt, ist ebenso nachvollziehbar, wie dass er gegen die Ankündigung seiner Verheiratung protestiert, [Ludwig Basch]: [Schnitzler unvermählt], 4. 4. 1903. Die Stellungnahme zur drohenden Todesstrafe für Ernst Toller im Juni 1919 missglückt ihm, was sich aus dem Vergleich seiner Reaktion mit der seiner Zeitgenossen ergibt. Alexander Moissi hat mehrere Namen von prominenten Wienern zusammengetragen, um gegen das drohende Urteil zu agitieren. Schnitzler protestiert nun so wortreich gegen die missbräuchlich verwendete Unterschrift, dass die nachgereichte Erklärung, in der er die Sachlage verallgemeinert – er sei natürlich gegen jeglichen »politischen Mord« -> Pointer –, kaum mehr als Äußerung für Toller wahrnehmbar ist. Auch Richard Beer-Hofmann lässt einen inhaltlich vergleichbaren Widerspruch einrücken, doch ist dieser in seinem Anliegen klarer.40 Bahrs Reaktion geht ebenfalls zur allgemeinen Aussage über, verknüpft diese aber elegant mit der Tatsache, dass er nachträglich41 doch noch gefragt worden war:

»[…] ich bin eher gekränkt, daß man mich erst gefragt hat, daß man mich überhaupt zu fragen erst für nötig hielt. Und ich ermächtige hiemit ein für allemal jedermann, hinfort meinen Namen, ohne mich erst lange zu fragen, unter jeden Protest gegen jeden Mord zu setzen, wem immer auch dieser Mord gilt […]«42

Die Idee eines »Berichtigungsbureaus«, die Schnitzler am 13. 1. 1907 in seinem festhält, könnte auch von Karl Kraus stammen. Im Kampf gegen falsche Zitate und Zuschreibungen sind die beiden Seelenverwandte. Sie verwenden viel Aufwand darauf, ihre öffentliche persona unter Kontrolle zu halten. Unterschiedlich sind die Zugänge, wie sehr sie Privates zur Verfügung stellen: Kraus fast gar nicht, Schnitzler, der den Bedarf der Nachwelt an biografischen Dokumenten propagiert, speist die gegenwärtigen Wünsche in einer allgemeinen Form ab.43 Seine eigene Familie ist weitgehend tabu, es »genügt wohl zu erwähnen, dass mein Sohn Schauspieler in Berlin und meine Tochter in Italien verheiratet ist.« George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930 Als Kurt Sonnenfeld den Sohn Heinrich als jungen Liebhaber aus einem Schnitzler-Stück imaginiert, wird das als so geschmacklos gewertet, dass der Verfasser »als Journalist« Hausverbot bekommt, Kurt Sonnenfeld: Ein Abend bei Artur Schnitzler, 11. 1. 1920. Das Interview, in dem Schnitzler den tragischen Tod seiner Tochter Lili thematisiert haben soll, wirkt deswegen völlig unwahrscheinlich und kann als Pastiche aus früheren Gesprächen mit aktuellen Zeitungsmeldungen gewertet werden Pierre Loving: Time Robs Schnitzler of Anatole, 7. 12. 1929. Tatsächliche Intimität oder zumindest ein besonders sympathischer Schnitzler, findet sich in einer Textstelle, in der er für das zeitgenössische Publikum nicht identifizierbar bleibt. Sie zeigt Schnitzler als liebenden Vater, der mit seinem kleinen Sohn spazieren geht und freundschaftlich plaudert, -> Pointer.

Werkstattgespräch ohne Werk

Während Zugang zum Privatleben weitgehend der Nachwelt vorbehalten bleibt, wird zumindest die Wohnsituation inszeniert und präsentiert. Dabei geht es nicht nur darum, dem Zeitungspublikum Intimität vorzugaukeln. Psychologisch lässt sich die zunehmende Suche nach dem Intimen als Antwort auf die wachsende Öffentlichkeit, die zunehmend wahrnehmbare Distanz zwischen den Dingen beschreiben. Es geht auch darum, dass das Private und Enge als Ort inszeniert wird, an dem Wahrheit und Authentizität vorherrschen.44

Das Interview präsentiert sich in dieser Bewegung als die Gattung der Moderne, die verspricht, das Lesepublikum zum stillen Zeugen eines Gesprächs machen zu können. Mit der home story wird das Interieur zum gehandelten Objekt. Der private Blick in den überlieferten Dokumenten setzt bezeichnenderweise ein, als Schnitzlers jahrelange Scheu und Abwehr vor einer Ehe überwunden war und er ein bürgerlichen Idealen entsprechendes, repräsentatives Leben führte. Da war er immerhin schon vierzig. Bis dahin hatte er als Erwachsener direkt bei seinen Eltern beziehungsweise im selben Haus wie seine Mutter gewohnt. Zuerst kam es zur Geburt des gemeinsamen Sohnes mit Olga Gussmann am 9. 8. 1902. Zentral für die Eheschließung dürfte gewesen sein, dass das Kind (im Unterschied zu früheren Schwangerschaften der jeweiligen Partnerin) überlebte. Wenige Tage nachdem Heinrich seinen ersten Geburtstag gefeiert hatte, ließen sich die Eltern trauen. Die Familie bezog eine gemeinsame Wohnung in einem Neubau in der Spöttelgasse 7 (seit 1918 Edmund-Weiß-Gasse).45 Diese Wohnung ist fotografisch und anderweitig schlecht dokumentiert, weswegen die Interviews bedeutsame Hinweise geben.46

Durch die Geburt von Lili am 13. 9. 1909 wurde der Platz in der bisherigen Wohnung zu eng und nach ein wenig Suche kaufte die Familie Schnitzler1/2 ein 400 Meter entferntes Haus.47 Die Villa in der Sternwartestraße 71 besaß schon von den Vorbesitzern her eine (bis heute erhaltene) Bauernstube und wurde nun im »Alt-Wiener Stil« eingerichtet.48

Vergleicht man diese Wohnsituation mit den anderen Schriftstellern, mit denen er in der Öffentlichkeit gerne in Verbindung gesehen wurde, fällt die Sonderstellung auf: Beer-Hofmann und Bahr (Alfred Deutsch-German: Hermann Bahr, 5. 4. 1903) ließen sich moderne Villen errichten. Als Bahr 1912 nach Salzburg übersiedelte, mietete er den ersten Stock des Schlosses Arenberg. Hofmannsthal wiederum mietete das beinahe zweihundert Jahre alte Fuchs-Schlössl in Rodaun. Schnitzler entzog sich mit seinem Kauf den Assoziationen von zeitgenössischer Moderne als auch von Aristokratie. Den durch das Wort »Villa« ausgelösten Zusammenhang mit Reichtum nahm er billigend in Kauf – solange nicht der Eindruck erweckt würde, er wäre vom Schreiben enorm reich geworden, [Ludwig Basch]: [Verkaufszahlen von »Der junge Medardus«], 14. 2. 1912. (Tatsächlich hatte er das Haus nur mit Hilfe eines Kredits seines Bruders, eines Arztes, kaufen können.)

Postkarte mit der Familie Schnitzler. Das Arbeitszimmer befand sich hinter dem Balkon
Das Haus in der Sternwartestraße 71 steht bis zu seinem Tod als seine Anschrift im Wiener Adressverzeichnis . Nur zum eigenen Telefonanschluss, der zum Jahresbeginn 1912 installiert wurde,49 legte er sich in den letzten Jahren eine Geheimnummer zu.50 Dass das nötig wurde, dazu mag das erste und einzige Telefoninterview beigetragen haben, das mit ihm gemacht wurde, Mária Rónay: Schnitzler Artur elavult műfajnak tartja az interjút, Oktober 1927. Denkt man an seine sonstige Zurückhaltung, überrascht es, wie sehr das Haus zur Repräsentation diente. Er ließ eine Fotografie von sich und seiner Familie auf der Gartenseite des Hauses aufnehmen und als Postkarte herstellen. Diese benützte er bis zumindest 1918 für Nachrichten.51

Abgesehen von wenigen im Garten geführten Gesprächen nahmen die Reporterinnen und Reporter in seinem Arbeitszimmer Platz. Dieser lag im ersten Stock. Im Erdgeschoss hätte es noch einen Salon, im Untergeschoss besagte Bauernstube gegeben. Insofern lässt sich konstatieren: Die Gespräche gehören zum Arbeitsleben, von dem das Familienleben abgetrennt blieb. Schnitzler bot seinen Gästen Zugang zum inner sanctum der Werkentstehung. Das half, die Auratisierung des Arbeitsraumes zu verstärken, und entsprach dem voyeuristischen Bedürfnis des Lesepublikums an einer (nur vordergründig möglichen) Teilhabe am Werkstattgespräch. Aber obwohl die Umstände dies zu ermöglichen schienen, blieb das Verlangen, bei der Werkentstehung über die Schulter schauen zu können, unbefriedigt. Schnitzler wahrte die Distanz und ließ sich nicht beim Arbeiten zuschauen.

Die Gegenwart in Schach halten

Interviews sind in mehrfacher Hinsicht relevante Texte. Als Paratexte vermitteln sie auktoriales Wissen über Werke, das sich nicht in diesen selbst findet. Äußerungen über das Schaffen gestalten die Rezeption mit. Auch bei Schnitzler konnten Leserinnen und Leser bereits zu Lebzeiten einige Details über die Genese bekannter Werke erfahren, beispielsweise dass , und einen gemeinsamen Ursprung hatten, -> Pointer. Doch die Beobachtungen bleiben rückwärtsgewandt und nicht auf die gegenwärtige Situation und in Entstehung befindliche Werke bezogen. Mehrfach alludiert wird immerhin auf den erwähnten Wechsel zur Personentypologie bei der Werkentstehung -> Pointer. Auch den Umstand, dass er an mehreren Werken zugleich zu arbeiten pflegte, teilt er immer wieder mit Gaspard [= Viggo Schiørring]: Hos Österrikes mest framstående dramatiska författare, 23. 11. 1904, [Karl Werkmann]: Verleihung des Grillparzer-Preises an Artur Schnitzler, 15. 1. 1908, George Sylvester Viereck: The World of Arthur Schnitzler, 1930, Jób Paál: Schnitzler Arthur büszke arra, hogy magyar zsidó, 15. 8. 1931.

Betrachtet man die Anekdoten, die öfters kommen, vermittelt sich sein ›Repertoire‹ von solchen Geschichten. Sie dürften ihm dazu gedient haben, Interviews zu ›bespielen‹, weil eine spontane Antwort oder ein Dialog nicht in seinem Interesse lag. Zu ihnen gehört das nie geschriebene Abschluss-Stück »Anatols Tod« (Karl Marilaun: Bei Artur Schnitzler, 28. 10. 1923, [Ludwig Basch]: Ein Besuch bei Artur Schnitzler, 4. 12. 1908, Karl Marilaun: Bei Artur Schnitzler, 28. 10. 1923), die Aufführung von , die durch ein Versehen doch noch zum Erfolg wurde (-> Pointer, -> Pointer, -> Pointer, -> Pointer), oder der Bericht, wie vom Burgtheater abgesetzt wurde (Die ausgewiesene »Rose Bernd«, 2. 3. 1904, Gaspard [= Viggo Schiørring]: Hos Österrikes mest framstående dramatiska författare, 23. 11. 1904, Julius Stern: Wiener Theaterwoche, 22. 11. 1925). Der Werkstattbesuch hat, für die Interviewpartnerinnen und -partner nicht immer gleich ersichtlich, etwas von einer Museumsführung. Es wird mehr gezeigt und präsentiert als kommuniziert.

Als Zeitverwandter der »talking cure« der Psychoanalyse kann einem das Interview die Möglichkeit geben, sein Wollen, seine Ziele und Absichten der Öffentlichkeit mitzuteilen. Schnitzler nützt das nicht aus, er spricht nicht frei von der Seele weg, seine Fassade bleibt intakt. Eines seiner zentralen Argumente, warum er keine Interviews gebe, lautet, dass man ihn gut genug kennen müsse, um ihn zu schildern, und dass das bei einem einmaligen Besuch auf keinen Fall funktionieren könne, Jób Paál: Gespräch mit Artur Schnitzler, 2. 8. 1931. Aus der Sicht eines Alltagsjournalisten muss sich diese Aussage absurd angehört haben. Ernst genommen bedeutet sie, dass ein einmaliges Zusammentreffen zweier Personen nicht beschrieben werden könne, weil zu wenig Bekanntschaft vorliege. Sie verweist auf eine starke Gewichtung von ›Einfühlung‹ und ›innerer Wahrheit‹, die für jedes Verstehen die Voraussetzung bilden.

Eine Komponente an Schnitzlers Verhältnis zum Interview kann als Bruch mit dem Augenblick gelesen werden. Er dürfte versucht haben, eine möglichst über das Ereignis hinausgehende Situation zu schaffen, damit das Porträt nicht zu einem Schnappschuss verkommt. Als Begriffspaar ließe sich das mit einer Unterscheidung zwischen ›Interview‹ und ›Gespräch‹ fassen, indem er dem Reporter, der Reporterin die Verwendung von Notizblock und Schreibmaterial verbietet, Jób Paál: Gespräch mit Artur Schnitzler, 2. 8. 1931, Jób Paál: Schnitzler Arthur büszke arra, hogy magyar zsidó, 15. 8. 1931. Die Position als Objekt, die er dadurch erlangt, steigert die Widersprüchlichkeit: Einerseits sind ihm Fakten wichtig, andererseits scheint er sich aktiv zu bemühen, die ihn besuchenden Reporterinnen und Reporter auf das Zeitübergreifende ihrer Tätigkeit hinzuweisen.

Fragen der Zeitbezogenheit, des Aus-der-Zeit-Fallens und der Überzeitlichkeit sind den hier präsentierten Textgattungen von Interview, Meinung und Protest inhärent. Schnitzlers ist durchsetzt von einer Verachtung für den Beruf des in der Zeit verhafteten Journalisten. Wenn er »Feuilletonist« sagt, meint er das pejorativ. Ihn stören daran neben dem schnellen Handwerk das Individuelle und in der Zeit Verhaftete. An Bahr verdeutlichte er die Bedeutung des Stils und dass Kritiken immer subjektiv verfasst sein müssen: »Aber in dem Bemühen, den subjektiven Schein zu entfernen, verliert man im Gegenzug oft geistige Intensität.« Viggo Schiørring: Hos Arthur Schnitzler, 9. 10. 1904.

Schnitzlers eigene Karriere als Literaturkritiker blieb kurz, sie scheint mehr einen Ausläufer der medizinischen Karriere darzustellen als ein anfängliches Versuchen. Von 1887 bis 1894 war er einer der Herausgeber der wöchentlich erscheinenden Internationalen klinischen Rundschau. Das machte ihn vertraut mit dem Tagesgeschäft von Lückenfüllern und Platzhaltern und dürfte ihn auch praktisch gelehrt haben, dass nie ein leerer Platz bleiben durfte.52 Nach dem Tod des Vaters und dem Beschluss, die Medizin an den Nagel zu hängen, gab es den Versuch, regelmäßig Buchrezensionen für die Frankfurter Zeitung zu verfassen.53 Doch dazu kam es nicht, und so bleiben die 1891 während weniger Wochen veröffentlichten vier Besprechungen von literarischen Werken die einzigen zu Lebzeiten, Professor Sylvan’s junge Ehe, 15. 4. 1891Hieroglyphen des Lebens, 15. 6. 1891. An diesen lässt sich vor allem lernen – wie Konstanze Fliedl urteilte –, »wie man es als Kritiker besser zu machen hätte«. Weitere im Nachlass überlieferte Aussagen berücksichtigend, arbeitete sie heraus, welche impliziten ästhetischen Überlegungen in Schnitzlers Literaturkritik kenntlich werden.54 Schnitzlers auf diese Weise entstandene Texte sind zu Recht weitgehend zu vernachlässigen, und die formalen Mittel, die er bei seinen Gebrauchstexten benutzt, wirken repetitiv und formelhaft.

Die Verachtung für den Tagesjournalismus und ihre Lohnarbeiterinnen und -arbeiter kann mehrfach produktiv verstanden werden: In ihr realisiert Schnitzler Abgrenzungen von Hoch- versus Populärkultur, Fragen von Schreibdauer und Textrelevanz, Bourgeoisie gegen Massenphänomene. Dadurch macht er die Distanz zum Teil seiner Positionierung, und zwar auf eine Weise, die die Populärkultur kennt und die diese einordnen kann: ›Bewohner des Elfenbeinturms‹, Beobachter von Außen, ›upper class‹. Das lässt sich auch auf sein Konzept von Autorschaft beziehen, da die Differenzierung ein Alleinstellungsmerkmal herstellt: Das ›Richtige‹ komme von ihm, das schreibe er selbst, die anderen wären dazu nicht in der Lage, Jób Paál: Gespräch mit Artur Schnitzler, 2. 8. 1931.

Die Öffnung zur Öffentlichkeit

Das Interview ist, was die Urheberschaft anbelangt, eine ambivalente Gattung. Wenn Aussagen und Zitate von Schnitzler von einem Dritten wiedergegeben werden, wer ist dann der Urheber?55 Schnitzler hätte mit einem aufgeweichten Konzept von Autorschaft wenig anfangen können. Jener Bereich, bei dem er in den vorliegenden Interviews und Meinungen am engagiertesten wirkt, behandelt bezeichnenderweise das ›geistige Eigentum‹. Mehrfach bringt er den Vergleich, es müsse dem materiellen Eigentum gleichgestellt werden, -> Pointer, Emil Bønnelycke: Digteren og Dramatikeren Arthur Schnitzler i Kjøbenhavn, 11. 5. 1923. Das ist einerseits eine Positionierung gegenüber der Abschaffung jeglichen Eigentums (und klare Ablehnung des Kommunismus). Andererseits weist das vielleicht den statischen Besitz als die Essenz seines öffentlichen Auftrittes aus. In der Abgrenzung seiner Person, in der Inszenierung seines Eigenheims und in der Unveränderlichkeit seines Werks kann eine gemeinsame Statik des Beständigen und des Besitzes ausgemacht werden.

Den in diesem Bereich im eigentlichen Sinne konservativen ästhetischen, weltanschaulichen und praktischen Interessen Schnitzlers steht das Konzept einer Öffentlichkeit gegenüber, das nicht dem Modell einer aufgeklärten Vernunft entspricht, sondern vielmehr als gefühlsgeleitet, aus Unter- und Halbbewusstem und aus Zuschreibungen wahrgenommen wird. Als ihr Sprachrohr verstehen sich die Medien, die vermittelnde Rolle fällt der Interviewerin, dem Interviewer zu. Jene haben Motive und Motivationen, die ebenfalls vom Privaten über das Berufliche ins Weltanschauliche reichen. Sie haben Aufträge, Deadlines, Karriereziele und, im besten Fall, Interesse und Erwartungen, wenn sie sich vor das prominente Gegenüber begeben. Wie sehr sich das Studienobjekt Schnitzler durch ihre Linse abbildet, kann lehrbuchtauglich in den vorliegenden Interviews erforscht werden, die auf der Dänemark- und Schwedenreise im Mai 1923 gemacht wurden. Schnitzler lädt, wegen des großen Andrangs, die Reporterinnen und Reporter zu Pressekonferenzen in seine Unterkunft ein. Vier dänische und sechs schwedische Interviews finden sich dazu in den Tageszeitungen. Auf jeweils unterschiedliche Weise wird das gleiche Gespräch wiedergegeben und werden Rückschlüsse auf den Reporter, die Reporterin wie auf die Blattlinie möglich. Zwei Regeln lassen sich aufstellen: Aktuelle Anekdoten, wie der jüngst gestohlene Mantel oder die falsch eingeschätzte Reisestrecke KopenhagenStockholm nehmen alle auf, genauso wie Streicheleinheiten für das nationale Ego.

Der stille Teilhaber an den Gesprächen – die Öffentlichkeit – koppelt sich auf mehrfache Weise in das Geschehen ein, indem Fragen behandelt werden, von deren Relevanz und Interesse man ausgeht, und indem das Gespräch und die Persönlichkeit ihr vermittelt werden. In der Stärke dieser Rückkoppelung lässt sich der Ruhm verorten. Wofür Schnitzler steht, wofür er gehalten wird, das kann den Interviews, Meinungen und Protesten entnommen werden.

Die Interviews ermöglichen eine Reihung seiner erfolgreichsten Werke zu erstellen. Natürlich haben die frühen Werke einen strukturellen Vorteil, da sie öfter vorkommen können. Es ist jedenfalls ein Triumph der Theatertexte über die literarische Prosa, die aus der statistischen Auswertung hervorgeht: kommt in 32 der Interviews vor, in 25, danach kommen (19), (18) und (16). Auf je zwölf Vorkommnisse bringen es und .

Da der Ruhm von Land zu Land unterschiedlich ist, gehörten in einem nächsten Schritt die nationalen Unterschiede berücksichtigt. Das gilt etwa für die Komödie , die ausschließlich in Schweden thematisiert wird, weil hier das Stück mit Erfolg aufgeführt worden war.

Überhaupt können die Interviews einen guten Eindruck davon geben, wie weit der geografische Raum reichte, in dem Schnitzler zu Lebzeiten über eine publizistische Relevanz verfügte: Im Zentrum stehen Wien, ein wenig Berlin – damit ist der deutschsprachige Markt weitgehend abgehandelt. Ungarn, Skandinavien und die Vereinigten Staaten dominieren. England, Frankreich, Italien, Russland und die Niederlande sind mit nur je einem Interview vertreten. Damit endet das Interesse nicht, der Nachdruck eines Interviews aus Havanna Joseph Gollomb: Dr. Arthur Schnitzler on the Vienna of To-day, 5. 6. 1920 und eine abgelehnte Anfrage aus Australien56 belegen eindrücklich, dass er für Zeitungsredaktionen der ganzen westlichen Hemisphäre relevant war.

 

Sich auf Schnitzlers ›Interviews‹, ›Meinungen‹ und ›Proteste‹ einzulassen, bedeutet nicht, weiteres gesichertes Wissen über ihn zu bekommen. Stattdessen gilt es, sich mit den Austauschprozessen und Wechselwirkungen zwischen der Öffentlichkeit und dem Autor vertraut zu machen und ein Verständnis für die Codes und Spielformen seines Ruhms zu Lebzeiten zu entwickeln. Die Rückkehr in die Zeit Schnitzlers kann damit nicht nur Material für Rezeptionsforschungen liefern, sondern auch die »Schnitzler-Renaissance« einer Revision unterziehen. Während diese den privaten Schnitzler dem öffentlichen vorzog, verwischt sich diese Unterscheidung mit den nun veröffentlichten Dokumenten wieder.

Die vorliegende Ausgabe hätte ohne die Großtat der Edition des nicht unternommen werden können, insofern viele Texte nur durch die darin enthaltenen Hinweise gefunden werden konnten.57 Sie weist zugleich darüber hinaus, wenn die Innenperspektive Schnitzlers um den Dialog mit den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen erweitert wird.

Fussnoten

  1. 1 Axel Madsen: Billy Wilder. Indianapolis, London: Indiana University Press1969, S. 22. Freuds Rauswurf erst bei: Hellmuth Karasek: Billy Wilder. Eine Nahaufnahme. Hamburg: Hoffmann und Campe1992, S. 46. Vgl. auch Georg Markus: Begegnungen mit ganz normalen jüdischen Genies. In: NU, Nr. 40, 2010, H. 2, S. 12–15, hier S. 13.
  2. 2 Vgl. »Billie«. Billy Wilders Wiener journalistische Arbeiten. Hg. Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Günter Krenn. Wien: Filmarchiv Austria2006. Von Wilder gibt es aber ein Rätsel, mit »Arthur Schnitzler« als Lösungswort: »Anfangsbuchstaben, von oben nach unten gelesen, ergeben den Namen eines österreichischen Schriftstellers«. Billie Wilder: Arithmogriph 6. In: Die Bühne, Jg. 2, H. 15, 19. 2. 1925, S. 67.
  3. 3 Eine statistische Orientierung kann durch gewonnen werden. Während Freud einen steten Anstieg verzeichnen kann, Strauss sich auf hohem Niveau einpendelt, bleiben Schnitzler und Adler weitgehend stabil bei einem Bruchteil der Erwähnungen der anderen beiden.
  4. 4 Ein besonderes Detail zeigte sich bei der Neuherausgabe des Briefwechsels mit Hugo von Hofmannsthal. Schnitzler hatte sich nach dessen Tod seine eigenen Briefe an ihn ausgeliehen, um sie zu sichten. Er ordnete, fügte mit Bleistift Datumsangaben hinzu, wenn diese fehlten. Vor allem ergänzte er auch jene Briefe, die sich als Durchschlag in seinem Nachlass fanden, von Hofmannsthal aber gar nicht aufbewahrt worden waren.
  5. 5 Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i. Br. befindlichen Materials. Mit einem Vorwort von Gerhart Baumann und einem Anhang von Heinrich Schnitzler: Verzeichnis des in Wien vorhandenen Nachlassmaterials. München: Fink1969, S. 33–38.
  6. 6 Müller, Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers, S. 37.
  7. 7 Verlustig sind einzelne Nachlassmappen, wobei dies teilweise durch Umordnungen erklärbar ist. Nur auf der Mikroverfilmung überliefert sind Aussagen zu Werkentstehungen. Verlagsverträge, soweit sie schriftlich fixiert waren, sind nicht durchwegs überliefert.Mit einem dieser drei Gründe kann das Fehlen von Material zumeist erklärt werden: 1) in den Wirren der Transfers des Nachlasses abhandengekommen; 2) von Heinrich Schnitzler als Arbeitsmaterial verliehen und nicht zurückgefordert; 3) für nicht relevant eingestuft.Als naheliegendster Anwärter für ein Purgatorium könnte das Tagebuch von Lili Schnitzler vermutet werden, das ihre Teenager-Schwärmereien festhält. Als solches wurde es auf Wunsch von Heinrich Schnitzlers Witwe Lilly bei der Übergabe des Nachlasses an das Deutsche Literaturarchiv bis 2020 gesperrt. Für Arthur Schnitzler war selbst dieser Text nicht zu intim, was sich daraus ableiten lässt, dass er selbst eine Maschinenabschrift beaufsichtigte.
  8. 8 Widmung. In: Theater- und Musikwoche, Jg. 1, Nr. 34, 15. 12. 1919 – 1. 1. 1920, S. 1. Heute in Aphorismen und Betrachtungen, S. 16.
  9. 9 Vgl. »Seh’n Sie, das Berühmtwerden ist doch nicht so leicht!« Arthur Schnitzler über sein literarisches Schaffen. Ausgewählt und kommentiert und mit einem Vor- und Nachwort versehen von Irène Lindgren. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang2002, S. 565–609.
  10. 10 Schnitzler an Hofmannsthal, 6. 3. 1906, schnitzler-briefe, L01587.
  11. 11 Am 17. 4. 1907, Briefe I, S. 559–560.
  12. 12 .
  13. 13 Müller, Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers, S. 38.
  14. 14 Die Abonnements waren kostspielig, was sich auch aus den Beschwerden Schnitzlers ableiten lässt, in denen er sich beklagt, dass ihm Texte mit nur seinem Namen zugeschickt wurden.
  15. 15 Lorenzo Bellettini, Christian Staufenbiel: The Schnitzler Nachlass. Saved by a Cambridge Student. In: Schnitzler’s Hidden Manuscripts. Hg. L. B. und Peter Hutchinson. Oxford u. a.: Peter Lang2010, S. 11–21, hier S. 19. In weiterer Folge wurde, wegen dem Säurefraß des Zeitungspapieres, in den 1980er-Jahre eine Sicherung von 26.000 Seiten auf Microfiche vorgenommen. Eine Kopie davon wurde wiederum dem Editionsteam des Tagebuchs zur Verfügung gestellt. Diese Kopie wurde vor Kurzem digitalisiert und steht, mit Volltextsuche, seit 2019 unter frei zur Verfügung. Als Hinweisgeber für Interviews und Rundfragen unverzichtbar, hätte die vorliegende Edition ohne diese Sammlung so nicht erscheinen können.
  16. 16 Zur Problematik der geänderten Briefkultur um 1900 vgl. Jörg Schuster: »Kunstleben«. Zur Kulturpoetik des Briefs um 1900 – Korrespondenzen Hugo von Hofmannsthals und Rainer Maria Rilkes. Paderborn: Fink 2014.
  17. 17 Einen umfassenderen Überblick über die zeitgenössische Rezeption gibt Julia Ilgner in: Schnitzler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hg. v. Michael Scheffel, Wolfgang Lukas und Christoph Jürgensen. Stuttgart: Metzler 2014, S. 347–350.
  18. 18 Zu Skandalen im literarischen Œuvre Schnitzlers erschien vor Kurzem eine Sammlung von Einzelstudien: Die Ökonomie des Skandals. Gesellschaft, Sexualität und Judentum bei Arthur Schnitzler. Hg. Carl Niekerk und Margrit Vogt. Göttingen: Wallstein2020. Die Rolle des Skandals für die Rolle als Autor wird weitgehend beiseitegelassen werden.
  19. 19 Aphorismen und Betrachtungen, S. 399.
  20. 20 Vgl. Amy Henderson: Media and the Rise of Celebrity Culture. In: OAH Magazine of History, Bd. 6, Nr. 4, Frühling 1992, S. 49–54.
  21. 21 Die hier und im Folgenden angesprochenen Themen, Fragestellungen und Argumentationen sind mehrfach Überlegungen verpflichtet, die Rebecca Roach in Literature und the Rise of the Interview (Oxford University Press2018) ausführt, ohne dass die strukturellen Anleihen als Zitat gekennzeichnet werden können.
  22. 22 Cambridge University Library, A 7,4 Kritik und Fälschung.
  23. 23 Die Parallele zu der literarischen Werkentstehung aus der Typologie, bedürfte eines genaueren Blicks, .
  24. 24 Durchschläge von Schnitzlers getippten Briefen befinden sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach, HS.1985.1.1407. Zu Menkes’ home storiesvgl. Ursula Renner-Henke: Hausbesuche. Hermann Menkes bei Wiener Künstlern und Sängerinnen. In: Hofmannsthal Jahrbuch, Jg. 24, 2016, S. 8–132.
  25. 25 Marie Kolkenbrock: Saved Face, Defended Place: Arthur Schnitzler’s Posture of Detachment and the Codes of Cool Conduct. In: Austrian Studies, Bd. 27 (Placing Schnitzler), 2019, S. 13–28.
  26. 26 Es ist jeweils eine Film- und eine Tonaufnahme überliefert. Das Audiodokument vom kann online in der Österreichischen Mediathek () angehört werden. Der Wochenschaubericht zum findet sich mit den Suchbegriffen »Arthur Schnitzler Stockholm« auf .
  27. 27 Drei Fragen – drei Antworten. In: Liebende Frauen. Wochenschrift des »Deutschen Freundschafts-Verbandes«, Jg. 4, Nr. 48, ca. Dezember 1929. S. 1–2.
  28. 28 Im privaten Bereich dürfte Homosexualität für ihn unproblematisch gewesen sein. Den deutlichsten Hinweis gibt seine Freundschaft mit Otto Brahm, der seine homosexuellen Neigungen lebte; . Auch im Umgang mit Leopold Andrian, Robert Michel und dem Paar Franz Xaver Setzer und Alfred Gerasch finden sich keine Spuren davon, dass die sexuelle Orientierung irgendwie störte.
  29. 29 Eine personelle Verbindungslinie kann mit Lotte Glas/Pohl hergestellt werden, die in seinem Tagebuch mehrfach Erwähnung findet und von der er für »Therese Golowski« in Der Weg ins Freie Züge entlehnte.
  30. 30 Vgl. Dagmar Lorenz: Wiener Moderne. 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler2007, S. 6–8.
  31. 31 Vgl. das 3. Kapitel (»Kriegsbeginn und Habsburgs Ende. Von der Militarisierung zur Demobilisierung der Literatur (1914–1924)« in: Barbara Beßlich: Das Junge Wien im Alter. Spätwerke (neben) der Moderne (1905–1938). Wien, Köln, Weimar: Böhlau2021, S. 109–166.
  32. 32 Zuletzt: Olga García: »Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige«. Das pazifistische Schweigen Arthur Schnitzlers. In: Retornos / Rückkehr. La Primera Guerra Mundial en el contexto hispano-alemán. Der erste Weltkrieg im deutsch-spanischen Kontext. Hg. Heidi Grünewald u. a. Osnabrück: V R unipress2015, S. 135–144, und Aleksandr V. Belobratov: Arthur Schnitzler und Alexander Kuprin. Schweigen und Sprechen im Krieg. In: Frieden und Krieg im mitteleuropäischen Raum: historisches Gedächtnis und literarische Reflexion. Hg. Milan Tvrdík und Harald Haslmayr. Wien: new academic press2017, S. 199-210.
  33. 33 Karl Kraus: Worte in Versen. III. Leipzig: Verlag der Schriften von Karl Kraus1918, S. 28. Kraus entschied sich ein paar Jahre später, anlässlich der Machtergreifung Hitlers und damit einer ähnlich allgemein-politischen Situation, zu schweigen.
  34. 34 Schnitzler an Bahr, 26. 6. 1901, Bahr/Schnitzler 211.
  35. 35 Ebd., S. 467.
  36. 36 Es dürfte sich um das Foto handeln, das im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Signatur AS 1B, aufbewahrt wird.
  37. 37 Schnitzler. In: Das Tage-Buch, Jg. 2, H. 13, 2. 4. 1921, S. 402–404, hier 402.
  38. 38 Von Bettina Riedmann stammt die bislang wichtigste Auswertung von Interviews mit Schnitzler im Zuge einer Forschungsarbeit. Sie behandelt ausführlich die falschen Aussagen in diesem Interview. Ihr unterläuft aber der Fehler, den italienischsprachigen Nachdruck als eigenes Interview zu rezipieren. Bettina Riedmann: »Ich bin Jude, Österreicher, Deutscher«. Judentum in Arthur Schnitzlers Tagebüchern und Briefen. Tübingen: Max Niemeyer 2002 (Conditio judaica 36), S. 395–408.
  39. 39 Die Post, Jg. 23, Nr. 134, 17. 5. 1888, S. 2. Im Brief Rosenbergs an Schnitzler vom selben Tag ist es dieser, der Schnitzler zum Verfassen eines Protestes auffordert. (DLA, HS.1985.1.04321)
  40. 40 Der Protest aus Wien gegen Tollers Hinrichtung. In: Neue Freie Presse, Nr. 19.685, 14. 6. 1919, S. 5.
  41. 41 Ebd.
  42. 42 Tagebuch. 15. Juni. In: Neues Wiener Journal, Jg. 27, Nr. 9.222, 6. 7. 1919, S. 6.
  43. 43 Welches Verständnis von Autorschaft diese Anerkennung von biografischen Zeugnissen für die Nachwelt bedeutet, wäre genauer zu untersuchen. Als These geäußert sei die Gleichbehandlung mit Vorbildern des Literaturkanons.
  44. 44 Rebbecca Roach: Literature and the Rise of the Interview, wie Anm. , S. 16.
  45. 45 Die genaue Wohnung Schnitzlers lässt sich ermitteln, indem man eine Fotografie (Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, AS 104 B), die einen der Balkone auf der linken Fassadenseite zeigt, mit folgender Textstelle in Verbindung bringt: .
  46. 46 Zum Interieur in Schnitzlers Wohnstätten siehe Julia Ilgners und meinen Beitrag: »My house is my Nachtkastl«. Ein chronologisches Inventar der Kunstobjekte Arthur Schnitzlers. In: Arthur Schnitzler und die bildende Kunst. Hg. Achim Aurnhammer und Dieter Martin. Würzburg: Ergon2021, S. 95–151 (Akten des Arthur Schnitzler-Archivs der Universität Freiburg, 7).
  47. 47 Vgl. Gerhard Hubmann: »Schwankende häusliche Stimmung«. Mit Arthur Schnitzler beim Villenkauf. In: »So schön kann Wissenschaft sein!« Mit Kronprinz Rudolf im Unterricht, mit Kaiserin Elisabeth von Schloss zu Schloss, mit Arthur Schnitzler beim Villenkauf. Zeitkapseln aus der Sammlung Brigitte Hamann. Geöffnet und hg. von Marcel Atze unter Mitarbeit von Kyra Waldner. Wien: Wienbibliothek2017, S. 220–236.
  48. 48 Damit gemeint ist ein Wohnstil, der das historische Wien vor den Stadterweiterungen, dem Schleifen der Basteien und vor dem Ringstraßenbau evozierte.
  49. 49 .
  50. 50 Vgl. schnitzler-briefe, L02535 und L02543.
  51. 51 Vgl. Arthur Schnitzler an Richard Beer-Hofmann, 26. 8. 1918, schnitzler-briefe, L02301.
  52. 52 Vgl. Arthur Schnitzler: Medizinische Schriften. Hg. Horst Thomé. Wien, Darmstadt: Zsolnay1988.
  53. 53 Vgl. die Briefe Paul Goldmanns an Schnitzler vom 21. 9. [1894] und 11. 11. [1894], schnitzler-briefe, L02614 und L02620.
  54. 54 Konstanze Fliedl: »Der von mir doch gewiß sehr geschätzte Autor«. Arthur Schnitzler als Kritiker. In: Studia austriaca, Jg. 1, 1992, S. 89–105, hier S. 90. Für die Öffentlichkeit hielt sich Schnitzler von der tagesaktuellen Tätigkeit fern. Der vermutlich einzige Hinweis zu Lebzeiten zu den Literaturrezensionen findet sich in einer Gratulation Bahrs zum 60. Geburtstag, vgl. Briefwechsel Bahr/Schnitzler, S. 553.
  55. 55 Auf dem Titelblatt der vorliegenden Edition steht Schnitzlers Name, das Problem von einem Extrem ins andere verschiebend.
  56. 56 Briefe II, S. 521.
  57. 57 Die Forschung hat die Interviews weitgehend unberücksichtigt gelassen. Die bislang umfänglichste Zusammenstellung sind vier Texte, die 1981 anlässlich einer Ausstellung der Wiener Festwochen in A. S. Materialien aufgenommen wurden. Zwei davon und zwei weitere übernimmt Ulrich Lindken in Aspekte und Akzente. Einzelne Interviews wurden in Zusammenhang von Forschungsarbeiten berücksichtigt, vor allem zu Dänemark und zum Judentum, wie Anm. . Als Vorabveröffentlichung der vorliegenden Edition erschienen die ungarischsprachigen Interviews 2020 im Hofmannsthal-Jahrbuch. Volker Hage hat in seinen Roman über die letzten Lebensjahre Schnitzlers – Des Lebens fünfter Akt (2018) ein fiktives Interview eingeflochten, auf das an dieser Stelle noch hingewiesen sein soll.